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Was hat die Auseinandersetzung mit dem Tod mit dir persönlich gemacht?

Meine Mutter war gar nicht begeistert, als ich ihr von meinem Bachelorarbeitsthema erzählte. Sie meinte, es sei nicht gut für mich, mich noch ein weiteres halbes Jahr mit diesem schweren Thema zu beschäftigen. Ich solle doch lieber ein «positiveres» Thema wählen. Schliesslich wisse man ja von Schauspielern, dass wenn jemand immer nur den Bösewicht spielt, dass dies negative Auswirkungen auf die Psyche hat. Selbst meine Mentoren haben sich nach meinem Gefühl auffallend oft nach meinem Gemütszustand erkundigt.
Auf die Frage wie es mir geht, antwortete ich stets mit: «sehr gut».
Und das war wirklich so.
Ich hatte Spass an der Arbeit – inhaltlich lernte ich viel Neues und die grafische Umsetzung war genau mein Ding.
Wenn man sich mit dem Tod beschäftigt, beschäftigt man sich gleichzeitig sehr mit dem Leben.

Ich weiss nicht genau wie ich es beschreiben soll, aber bei mir hat sich mein «Fokus» irgendwie verschoben.

Praktisch mein ganzes bisheriges Leben habe ich in Ausbildungen verbracht. Von klein auf sind die Wege vorgespurt – Schule, Lehre, Studium etc. Und überall sagen dir die Leute was sie von dir wollen und was du zu tun hast. Ich habe das Gefühl, dass ich mit meinem Pflichtbewusstsein und dem Wunsch nach Anerkennung viel zu viel Lebenszeit damit verbracht habe, es anderen recht machen zu wollen, anstatt richtig «zu leben».

Die Auseinandersetzung mit dem Lebensende machte mir bewusst, dass es jeden Moment auch vorbei sein kann. Klar, ich bin noch jung, aber was, wenn ich bei meinem Hobby blöd vom Pferd falle oder es mich im Strassenverkehr erwischt?
Wenn ich mir vorstelle, dass ich auf meinem eigenen Sterbebett liege und an mein Leben zurückdenke, wäre ich dann glücklich? Würde ich sagen «YEAH! Geil wars!»?
Dieser Gedanke rückte meine Fokus irgendwie wieder auf das Wesentliche. Zurückerinnern würde ich mich an all die verrückten Dinge, die ich erlebt habe oder an die Menschen, die mir wichtig sind. Aber wohl nicht ans Staubsaugen oder die einzelne Gute Note in einer Prüfung.
Ich habe mir fest vorgenommen, mehr zu unternehmen, mehr Zeit mit anderen Menschen zu verbringen oder mich auch mal auf Abenteuer einzulassen. Das ist doch ein super positiver Effekt, oder?

Klar, gab es ab und zu während meiner Arbeit ein paar Momente, bei denen es mich überkam. Beispielsweise suchte ich im Internet für eine Illustration nach einer Urne als Vorlagebild. Dabei entdeckte ich zufällig eine Person, die Asche in ein Gewässer streute. Meine Mutter hat eine starke Verbindung zum Rhein und wohl irgendwann einmal erwähnt, dass wir nach ihrem Tod einen Teil ihrer Asche in den Fluss geben sollen. Der Gedanke, dass sie irgendwann nicht mehr sein wird, hat mich in diesem Moment übermannt und ich bin in Tränen ausgebrochen.

Bei meiner Arbeit habe ich mir selbst wahnsinnig viel Wissen angeeignet. Ich glaube schon, dass mir dieses Wissen die abstrakte Angst teilweise genommen hat, weil ich verstehe was für Vorgänge beispielsweise beim Sterben passieren. Ob ich dadurch aber «besser» mit einer konkreten Situation umgehen kann, wage ich zu bezweifeln. Mir ist bewusst, dass eine berufliche Auseinandersetzung immer mit einer gewissen Distanz verbunden ist. Sind starke Emotionen im Spiel, weil es beispielsweise um ein eigenes Familienmitglied geht, ist es plötzlich etwas ganz anderes.

Visual zur Frage «Wann ist es an der Zeit, sich mit dem
Sterben auseinanderzusetzen?», Set RUND UM Sterbeethik
Selina Fässler